Boxtraining für den Berufseinstieg

18. Februar 2022
Trainer Teyfik spricht mit den Jugendlichen und hört ihnen zu, Foto: Malte Frackmann
Trainer Teyfik spricht mit den Jugendlichen und hört ihnen zu, Foto: Malte Frackmann

Es ist Montagmorgen, 7:45 Uhr in der Sporthalle der Berufsbildenden Schulen Winsen. Die Schüler der beiden Klassen der Berufseinstiegsschule (Klasse 1, Fachbereiche Gesundheit/ Soziales und Technik) sitzen auf Turnbänken und besprechen ihre letzte Woche mit Teyfik. Der stämmige ehemalige Häftling ist als Trainer für den Verein „Gefangene helfen Jugendlichen“ und besucht seit November im Rahmen des Projekts „Eiskalt gegen Gewalt“ einmal in der Woche die BBS in Winsen. Dabei sprechen die Schüler miteinander über die Schule und die Themen, die sie sonst so beschäftigen. 

Teyfik hört zu, fragt nach: „Wie läuft es in der Schule? Wie geht es dir?“ Auch Bewegung und Spiele gehören zu dieser Schulstunde, die ganz anders verläuft als der normale Unterricht: Bälle werfen, Gespräche, Partner-Sit-Ups, besonders beliebt ist das Boxtraining. „Regeln einhalten, Grenzen achten, Empathie üben sind Dinge, die mir in der Stunde wichtig sind“, sagt Teyfik. Das Projekt erfüllt eine wichtige Präventionsarbeit: „So wie ich früher halten sich viele junge Leute für schlau. Aber auch die neuen Generationen machen die gleichen Fehler. Ich will sie wachrütteln und ihnen zeigen, wohin der Weg geht, wenn die Schule zweitrangig wird und man anfängt mit Diebstahl, Körperverletzung und Drogen.“ Er selbst habe in „Santa Fu“, der Hamburger Justizvollzugsanstalt Fuhlsbüttel, eine längere Haftstrafe verbüßt und daraufhin sein Leben geändert. Nun ist er als Trainer beim Verein angestellt, um den Schülern authentisch zu vermitteln, dass es im Leben auf andere Dinge ankommt als auf Statussymbole – erst recht, wenn diese eigentlich nur auf illegalem Weg zu erreichen sind und meistens entsprechend schnell wieder verlorengehen. 

Bei den Schülerinnen und Schülern kommt das Angebot gut an: „Mal was anderes“, „…macht Spaß“, „…ist mal eine Abwechslung“ sind die Zwischenfazite der Beteiligten. „Wir lernen beim Boxen, unsere Kraft unter Kontrolle zu kriegen“, freut sich eine Schülerin über die zusätzliche Bewegungsmöglichkeit. „Die Stunden mit Teyfik sind ein ganz wichtiger Teil für die Berufsvorbereitung“, sagt Pastorin Mirjam Valerius, die das Projekt begleitet und mehr als fünf Jahre lang Religion an den BBS unterrichtet hat. „Die Schülerinnen und Schüler können bestimmte Dinge ganz anders thematisieren als im Unterricht und entdecken dadurch ihre Grenzen und ihre Möglichkeiten. Mir fällt auf, dass alle eine Verantwortung für die Gruppe spüren. In den Klassen treffen ganz unterschiedliche Biographien aufeinander, die auf Augenhöhe zusammenfinden – die Ungleichheit in der Gesellschaft findet sich auch hier wieder. Im Unterricht und im Schulalltag vermitteln wir, dass jeder und jede von uns gleich viel wert ist – das spüren alle auch in den Stunden mit Teyfik.“

Trainer Teyfik Sahin, Schulsozialarbeiterin Juliane Baumann und Pastorin Mirjam Valerius begleiten die Schülerinnen und Schüler, Foto: Malte Frackmann
Trainer Teyfik Sahin, Schulsozialarbeiterin Juliane Baumann und Pastorin Mirjam Valerius begleiten die Schülerinnen und Schüler, Foto: Malte Frackmann

Auch für die Schulsozialarbeiterin Juliane Baumann ist das Projekt eine große Unterstützung ihrer Arbeit: „Die Schüler bringen ganz unterschiedliche Vorerfahrungen mit, auch in der Konfliktbewältigung. Mit vielen Gesprächen versuchen wir, so gut es geht Chancengleichheit herzustellen – dabei hilft es, wenn wir gemeinsam mit den Jugendlichen erarbeiten, welche Lösungswege es geben könnte, ohne dass eine Auseinandersetzung gewalttätig wird.“ Gerade bei denen, die schwere Jahre hinter sich haben, sei die Ansprache durch Teyfik eine gute Alternative: „Er spricht die Sprache der Jugendlichen und hat viele Situationen schon erlebt. Dadurch kann er viele der jungen Menschen dort abholen, wo sie gerade stehen.“ Durch die Treffen werde das Selbstvertrauen gestärkt und in der Gruppe ein Zusammengehörigkeitsgefühl geschaffen, das sehr wertvoll sei. „Durch das miteinander Reden bauen die Schüler untereinander Vertrauen auf und lernen, auch ein Gegenüber zu akzeptieren, das vielleicht ganz anders tickt als sie selber. Diese Kommunikationsfähigkeit und das Gemeinschaftsgefühl tragen am Ende häufig eine Menge dazu bei, dass die Jugendlichen eine bessere Chance auf einen Schulabschluss haben“, sagt Juliane Baumann. 

Für die Lehrinhalte der zweijährigen Berufseinstiegsprogramme an den BBS ist Abteilungsleiterin Silke Durben zuständig. Das erste Jahr steht unter der Überschrift „Ankommen in der Arbeits- und Lebenswelt“. Dabei ist „Eiskalt gegen Gewalt“ ein wichtiger Baustein: „Das Projekt ist sehr wertvoll für die Schule – die Schülerinnen und Schüler werden auf mehreren Ebenen begleitet, wenn sie sich auf den Berufseinstieg vorbereiten. Gemeinsam setzen sie sich realistische Ziele und erarbeiten, was sie dafür tun müssen, um diese zu erreichen. Gerade in der Arbeitswelt gehören dazu unter anderem Dinge wie Zuverlässigkeit, Verbindlichkeit und gegenseitiger Respekt.“ Für die Durchführung ist die Schule auf Drittmittel angewiesen. „Ich bin dankbar für die Förderung durch den Fonds ‚Frieden stiften‘ der ev.-luth. Landeskirche Hannovers. Wir könnten noch viel mehr dieser Angebote gebrauchen.“ Volkert Ruhe, Gründer und Geschäftsführer des Vereins ‚Gefangene helfen Jugendlichen‘, sagt: „Es ist super, dass diese Kooperation entstanden ist, und wir kommen immer gerne nach Winsen.“ Seit über zwanzig Jahren leistet er über den Verein die aus seiner Sicht dringend nötige und von den Behörden noch längst nicht ausreichend finanzierte Präventionsarbeit an Schulen im deutschsprachigen Raum.