"Alle Jahre wieder"? - Über Vergebung und Neuanfänge

14. Dezember 2021

Predigt zum 3. Advent – Pastor Markus Kalmbach, Gemeinde St. Marien (Winsen)

Liebe Schwestern und Brüder, liebe Gemeinde.

In (inzwischen nicht einmal) zwei Wochen feiern wir den Zweiten Weihnachtstag, dann ist Heiligabend 2021 schon Geschichte, Geschenke wurden übergeben, Besuche bei der Familie liegen dann vielleicht schon hinter einem – tja, und was bleibt dann? War irgendetwas anders oder haben wir uns am weihnachtlichen Motto „Alle Jahre wieder“ orientiert? Wenn Weihnachten doch so wichtig ist, zumindest im Laufe des Kirchenjahres und für uns Christen allgemein, werden wir dann in zwei Wochen sagen, dass dieses Weihnachtsfest etwas in meinem Leben verändert hat? Für Jesus ging es ja immer um Veränderung. Es ging nicht um „same procedure as every year“ sondern um das „kehrt um“, ändert euer Leben.
Als Jesus mal von Johannes gefragt wurde, ob er denn der Retter sei, da antwortete Jesus: "Blinde sehen und Lahme gehen, Aussätzige werden rein und Taube hören, Tote stehen auf und Armen wird das Evangelium gepredigt; und selig ist, wer sich nicht an mir ärgert." Das ist doch Veränderung pur.
Dem reichen Jüngling sagte Jesus: Willst du vollkommen sein, so geh hin, verkaufe, was du hast, und gib's den Armen, so wirst du einen Schatz im Himmel haben; und komm und folge mir nach!
Uns schmecken diese Sätze eigentlich nicht so, weil wir es uns so gemütlich eingerichtet haben. Sie passen nicht in unser Bild von Gemeinde Jesu. Das ist doch viel zu revolutionär und aggressiv. Man muss doch auch die Situation der Menschen berücksichtigen.
Nun, Jesus verstand sich als Messias, als Christus, als Retter. Er hat das Leben der Menschen verändert, sei es durch eine Heilung oder durch eine Ermutigung oder eine Herausforderung. Er sagte, dass die Gesunden keinen Arzt bräuchten, sondern die Kranken. Er sah sich als Rettungsboot und nicht als Kreuzfahrtschiff. 

Und wie sehen wir Jesus an? Welche Bedeutung messen wir ihm zu? Wenn wir uns in dieser Adventszeit auf sein Kommen vorbereiten, welche Erwartungen haben wir dann? Wenn wir denn überhaupt Erwartungen haben. Vielleicht haben wir uns ja auch noch gar keine Gedanken in diese Richtung gemacht. 

Sind wir wie der Blinde, der wieder sehen möchte oder wie der Mühselige, der von seiner Last befreit werden möchte? Sind wir wie der Gemobbte, der doch nur dazugehören und ein normales Leben führen möchte? Oder wollen wir lieber „same procedure as every year“? Bloß nichts anders machen? 

Welche Erwartung verbinden wir mit Jesu Kommen?
Ja, wir feiern Jesu Kommen alle Jahre wieder und es hat etwas von diesem „same procedure as every year“. All unsere äußeren Traditionen tragen ja dazu bei, dass es so wird wie letztes Jahr, und das Jahr davor und das Jahr davor. 

Und vielleicht hindert gerade dieses Ganze uns daran, dass Weihnachten etwas mit uns macht, dass wir dadurch verändert werden.
Als wir noch in Südafrika lebten, da war es um Weihnachten immer sehr heiß. Tannenbäume gab es nur die aus Plastik mit Kunstschnee. Wir haben uns manchmal einen Baum geholt, der eine gewisse Ähnlichkeit mit einem Nadelbaum hatte. Wir wollten eine gewisse Tradition fortführen. Aber rund um die Bescherung war der Aufenthalt im Swimmingpool doch die bessere Wahl. So richtige Weihnachtsstimmung, wie wir sie von hier kennen, womöglich mit Schnee, die gab es dort nicht. Auch wurde das Weihnachtsfest in der Südafrikanischen Lutherischen Kirche nicht so groß gefeiert. Dort war Ostern viel, viel wichtiger. Weihnachten war eben ein kirchliches Fest, aber nicht das bedeutendste. Das führte bei mir dazu, dass ich einen anderen, neuen Zugang zum Weihnachtsfest bekam. Denn man macht sich dann leichter Gedanken darüber, was Weihnachten eigentlich bedeutet, unabhängig von Tannen, Schnee und Jingle Bells. 

Euch ist heute der Heiland geboren, der Retter. So wurde es den Hirten als erstes gesagt. Das war und ist der Kern der Weihnachtsbotschaft.
Und wir hören diese Worte auch wieder in diesem Jahr. Aber brauche ich denn wirklich einen Retter? Ich seh mich nicht als krank oder schiffsbrüchig an. Und genau das ist wohl die Crux mit uns Menschen. Wir sind der Meinung, keinen Retter zu brauchen. Und darum warten wir auch nicht wirklich auf einen Retter, denn wir haben doch eigentlich alles im Griff. 

Der heutige Adventssonntag ermuntert uns dazu, uns auf Jesu Kommen gut vorzubereiten und unsere Herzenstüren für Gottes Kommen zu öffnen. Zur Weihnachtsvorbereitung gehören nicht nur die vielen Lichterketten und Tannengrün und leckere Süßigkeiten und Lebkuchen, sondern eigentlich geht es im Kern um mich, um mein Herz, darum, ob ich diesem Retter, diesem Jesus Platz einräumen möchte. In der letzten Strophe von dem Lied „Macht hoch die Tür“ hieß es: 

Komm, o mein Heiland Jesu Christ, meins Herzens Tür dir offen ist. Ach zieh mit deiner Gnade ein; dein Freundlichkeit auch uns erschein. 

Bist Du bereit, Deine Herzenstür zu öffnen?
Wenn ja, was würde man dort sehen, wenn wir einen kleinen Rundgang machen würden? Ist alles ordentlich aufgeräumt oder sieht man, dass im Haus das Leben tanzt? Gibt es Ecken, wo es gut ist, dass ein Vorhang davor ist? Muss ja nicht jeder gleich sehen, was dahinter ist. Oder gibt es gar Räume, die besser dicht bleiben sollten? Keller bieten sich ja besonders gut für solche kleinen Geheimnisse an. Würden wir, wenn Jesus zu Besuch kommen würde, ihn in der guten Stube Platz nehmen lassen, oder würden wir ihm, wie nach einem Hauskauf gerne das ganze Haus zeigen wollen, weil wir stolz drauf sind, was wir alles haben?
Wenn Du jetzt für dich sagst, dass man ihm ja nicht alles zeigen müsste und dass die gute Stube ja völlig ausreichen würde, dann sieht es doch so aus, als wenn es Dinge gibt, die nicht so gut sind, die uns peinlich sind, die nicht so heil sind.
Die dunklen Ecken mit einem Vorhang zu verdecken, oder in einem Raum einzuschließen, das ist ja oft unsere Form des Umgangs mit Schuld und Sünde, mit Fehlern und Versagen. 

Und Jesus sitzt mit Dir in der guten Stube und freut sich erstmal über dein schönes Haus und dass du ihn reingelassen hast. Und dann fragt er dich, ob du ihm nicht mal dein Haus zeigen möchtest. Er möchte sehen, wie du so wohnst und wie du dein Haus, deine Wohnung gestaltet hast. Und ihr geht von Raum zu Raum und du erzählst von den Bildern, die da hängen, von den Möbeln mit ihrer Geschichte, von den Mitbringseln und Erinnerungsstücken. Und in der einen Ecke stehen noch ein paar Kartons. Vielleicht kennt Ihr das von Umzügen. Man ist im neuen Haus oder in der neuen Wohnung angekommen. Das meiste ist ausgepackt und die Wohnung hat was Neues und auch etwas Gewohntes und das ist gut so. Aber dann gibt es da so drei vier Kartons, die sind noch nicht ausgepackt. Das machen wir später. Und dabei bleibt es dann. Sie stehen hinter der Gardine oder in der Ecke des Raumes. Das gleiche gilt auch für Dinge, die ein wenig kaputt gegangen sind, aber noch funktionieren. Ja, ja, die repariere ich noch. Ich habe z.B. schon seit unserem Einzug im Hauswirtschaftsraum nur eine Glühbirne hängen, keine fest installierte Lampe. Es geht doch auch so. Und schnell haben wir uns an dieses Übergangs- stadium gewöhnt und es dann dabei belassen. 

Ich glaube, wir kennen alle diese Ecken. Wir haben uns dran gewöhnt und haben gelernt damit zu leben. Und so gibt es vielleicht hier und da auch unausgepackte Kartons und dunkle Kapitel, wo wir die Tür lieber geschlossen halten. Die Verletzungen durch die Eltern oder durch den Partner, das Erleben von Missbrauch, oder der Diebstahl, oder das verursachte Unrecht, die Beteiligung am Mobbing, das Schweigen in Situationen wo man hätte protestieren müssen, oder das Wegschau- en bei einem Gewaltverbrechen oder oder oder. 

Da sind Dinge hinter meiner Herzenstür, die sollen ein Geheimnis bleiben. Das muss keiner wissen. Wir tragen sie mit uns rum und leider ist einiges davon schon echt zu einer Last, zu einem großen Karton geworden. 

Und auf einmal bekommt das Lied „Macht hoch die Tür“ eine ganz andere, eine sehr persönliche Bedeutung, wenn es heißt: 

Komm, o mein Heiland Jesu Christ, meins Herzens Tür dir offen ist. Ach zieh mit deiner Gnade ein.

Auf einmal geht es nicht mehr um „Alle Jahre wieder“ und Lichterketten und Lebkuchen, sondern um "Euch ist heute der Heiland geboren". Der Heiland ist nämlich der Heil-Macher, derjenige der hilft, die Kartons endlich aufzuräumen und in den dunklen Ecken im Haus ein Licht aufzustellen, weil alles zu Versteckende ausgeräumt ist. Habe ich den Mut, diesem Heiland meine Herzenstür zu öffnen?

Vielleicht werden wir beim ersten Rundgang durch unser Herzenshaus nur beiläufig von den Kartons erzählen, die immer noch unausgepackt sind. Und Jesus wird es sehen und einmal mit der Hand drüber streichen und es erstmal dabei belassen. Aber er bietet dir dann an, nochmal zurück zu kommen. Und dann ist Auspackzeit – aber erst wenn du dazu bereit bist.
Dann bist du nur mit ihm zusammen und ihr beide leert diese ollen Kartons. Der Vorhang kann endlich abgenommen werden und in der Ecke kann endlich der tolle Schaukelstuhl seinen Platz haben und immer, wenn du dann im Schaukelstuhl hin und her wippst, dann erinnerst du dich daran, dass die Kartons endlich weg sind. Und irgendwann erinnerst du dich gar nicht mehr daran, wie es anfangs mal aussah. 

Diesen ganzen Prozess nennen wir übrigens theologisch Beichte und Vergebung und das ist mit das größte Geschenk, das uns das Kommen Jesu gebracht hat.
Gott schenkt uns einen Neuanfang. Vergebung ist sein Markenzeichen. Er ermöglicht eine Umkehr, damit wir neu anfangen können. Das alte soll uns nicht weiter belasten. Jesus hilft die ollen Kartons wegzuräumen. Und dies ist ein Prozess, den kannst Du ganz persönlich machen. Dazu braucht es keinen Pastor. 

Du stellst Dir deine Herzenstür vor. Du stellst dir vor, es klopft an deiner Herzenstür. Du öffnest und es ist Jesus und du lässt ihn rein und du gehst mit ihm von Zimmer zu Zimmer, von Lebensstation zu Lebensstation. Und da wo du dankbar bist, da sag es Gott. Wo dunkle Ecken sind, da bitte ihn zu helfen, sie wegzuräumen. Und so können mehr und mehr der dunklen Ecken aufgeräumt werden. Du kannst diese Dinge auch auf einen Zettel schreiben, sie dir von der Seele schreiben. Und am Ende deiner „Beichte“ schließe deinen Rundgang mit einem Danke dir, Gott, für deine Hilfe und für den Neuanfang. Bitte bleibe in meinem Herzen, denn ich brauche deine Nähe in meinem Leben. Ich will mit dir durchs Leben gehen und ich verlasse mich auf deine Zusage, dass du alle Tage bei uns bist. 

Wenn du magst, kannst du den Zettel im Anschluss verbrennen.
Das Lied, das uns die Kantorei nun singt nimmt diese ganze Thematik in wunderbarer Weise auf.  Wie soll ich dich empfangen. 

In der 4. und 6. Strophe des Liedes "Wie soll ich dich empfangen" heißt es: 

4) Ich lag in schweren Banden, du kommst und machst mich los; ich stand in Spott und Schanden, du kommst und machst mich groß und hebst mich hoch zu Ehren und schenkst mir großes Gut, das sich nicht lässt verzehren, wie irdisch Reichtum tut. 

6) Das schreib dir in dein Herze, du hochbetrübtes Heer, bei denen Gram und Schmerze sich häuft je mehr und mehr;
seid unverzagt, ihr habet die Hilfe vor der Tür; der eure Herzen labet und tröstet, steht allhier. 

Oh welch wunderbare Advents- und Weihnachtszeit. 

Gott steht vor deiner Tür. Er klopft an. Wir machen auf. Wir lassen ihn rein, denn er will dein und mein Heil-Macher, unser Retter sein. Machen wir uns dafür bereit.

Amen.